Sind die Wisente falsch im Wald?

Wisente sind von Natur aus "Gemischtesser" und ziehen das Leben in offenen Landschaften einem Leben im Wald vor. Das hat ein Forscherteam um den Tübinger Wissenschaftler Prof. Dr. Hervé Bocherens herausgefunden und vor wenigen Tagen in der renommierten Fachzeitschrift "Plos one" veröffentlicht. Bocherens fordert nun, die Schutzkonzepte für Wisente grundlegend zu überarbeiten.

Um die ursprünglichen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten des größten europäischen Säugetiers herauszufinden, wurden etwa 12.000 bis 10.000 Jahre alten Wisentknochen aus Norddeutschland, Dänemark und Südschwede untersucht. Bocherens: „Die Kernfrage, die wir uns dabei gestellt haben: Sind Wälder der bevorzugte und geeignete Lebensraum für die europäischen Wisente?“

Bisher, so berichtet die Pressestelle der Universität Tübingen, war die Forschung davon ausgegangen, dass europäische Wisente – anders als ihre steppenbewohnenden Verwandten in Nordamerika – sich überwiegend in Wäldern wohl fühlen. Anhand von Untersuchungen an den uralten Knochen der Großsäuger konnten Bocherens und sein Kollege Prof. Dr. Rafal Kowalczyk vom „Mammal Research Institute“ im polnischen Białowieża nun belegen, dass Wisente „Gemischtesser“ waren.

Population der Wisente nahm stark ab

„Das Verhältnis der Kohlenstoff- und Stickstoffisotope in den Knochen zeigt uns, dass auf dem Speiseplan der Wisente sowohl Blätter als auch Gras und Flechten standen. Sie hielten sich demnach keineswegs nur in Wäldern auf“, erläutert Bocherens. Dank dieser flexiblen Ernährung standen die Wisente mit den stärker spezialisierten Auerochsen und Elchen nicht in Konkurrenz und konnten auch harte Winter überstehen.

Als die offenen Landschaften – bedingt durch Klimawandel, wachsende Waldflächen und zunehmende landwirtschaftliche Aktivität des Menschen – schrumpften, wurde der Wisent in die Wälder zurückgedrängt. Bocherens: „Dort nahm die Population der Wisente so stark ab, dass die Tiere fast vollständig ausstarben.“

"Schutzkonzepte müssen überarbeitet werden"

Heute überleben die wilden Wisente in Europa im Winter nur durch menschliche Hilfe. Der Wald bietet den stattlichen Tieren in der kalten Jahreszeit nicht ausreichend Nahrung. „Bessere Chancen hätten die stark bedrohten Wisente, wenn sie – wie in der Vergangenheit – offene Landschaften bewohnen könnten und damit auch ein breiteres Nahrungsangebot hätten“, meint der Tübinger Biogeologe und resümiert: „Die Schutzkonzepte für Wisente müssen daher grundlegend überarbeitet werden.“ Nicht nur im Wittgensteiner Land wird man Bocherens' Worte vermutlich aufmerksam vernehmen. Str.






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