Kartellamt kritisiert Lieferbedingungen

Sehr kritisch beurteilt das Bundeskartellamt wesentliche Inhalte der Milchlieferverträge zwischen Milcherzeugern und Molkereien. Das sehen die Branchenverbände anders.

Sehr kritisch beurteilt das Bundeskartellamt wesentliche Inhalte der Milchlieferverträge zwischen Milcherzeugern und Molkereien in Deutschland.

Die Bonner Behörde veröffentlichte am Montag die Ergebnisse ihrer Ermittlungen in einem Sachstandspapier. Demzufolge werden flächendeckend Lieferbedingungen mit einer Alleinbelieferungspflicht und langen Kündigungsfristen sowie einer nachträglichen Preisfestsetzung verwendet. Daraus resultiere „eine nachhaltige Beruhigung des Wettbewerbsgeschehens“.

Das Bundeskartellamt hat 89 Molkereien befragt, von denen 2015 etwa 98 % der gesamten Milchanlieferungen erfasst worden seien – davon hätten 97,8 % Ausschließlichkeitsbindungen unterlegen. Mehr als die Hälfte der Rohmilchmenge sei nur mit einem Vorlauf von mindestens zwei Jahren kündbar; die effektive Kündigungsfrist könne aber erheblich länger sein.

Es gebe mit einem Umfang von 1% der bei Molkerereien angenommenen Rohmilchmenge so gut wie keine Wechsel. „Das ist problematisch für die Landwirte und behindert mögliche Newcomer auf Molkereiseite oder Molkereien, die wachsen wollen“, sagte Kartellamtspräsident Andreas Mundt.

Weit verbreitet sei auch, dass der Milchpreis erst nach der Lieferung festgesetzt werde und sich an Referenzpreisen und Marktinformationssystemen orientiere. „Wir wollen jetzt mit der Branche über mögliche Alternativen diskutieren“, kündigte Mundt an.

Die Behörde regt beispielsweise kurze Kündigungsfristen für Lieferverhältnisse im Milchsektor, eine Lockerung der Kopplung von Lieferbeziehung und Genossenschaftsmitgliedschaft, eine Festlegung der Preise vor der Lieferung und die Vereinbarung fester Liefermengen an.

Das Bundeskartellamt führt derzeit ein Musterverfahren gegen die größte Molkerei in Deutschland, das Deutsche Milchkontor (DMK). Das Verfahren könne aber auf weitere Molkereien ausgeweitet werden, sollten sich weitere Vorwürfe bestätigen.

Molkereibranche warnt vor „Zerstörung“

Die Schlussfolgerungen vom Bundeskartellamt stoßen bei den Molkereien und Branchenverbänden auf scharfe Kritik. Sie warnen vor einer „Destabilisierung“ und „Zerstörung“ der bewährten Strukturen.

„Das Bundeskartellamt möchte die seit Jahrzehnten gelebte marktwirtschaftliche Vertragsfreiheit durch ein restriktives System und Verbote ersetzen“, beklagte der Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes (MIV), Eckhard Heuser. Die Vorschläge seien schon deshalb unbrauchbar, weil sie nicht das Ziel eines langfristig höheren Milchpreises erreichten.

Heuser widersprach auch der Auffassung einer homogenen Interessenlage der Landwirte. Vielmehr hätten die Milcherzeuger – je nach Region, Größe oder Vertragspartner – sehr unterschiedliche Positionen zu Themen wie Vertragslaufzeit und Andienungspflicht. Der MIV-Hauptgeschäftsführer bezeichnete den Vorstoß des Kartellamtes als „weltfremd“.

Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) verwies darauf, dass die Lieferbeziehungen von den Mitgliedern einer Genossenschaft in demokratischen Verfahren durch Satzung und Anlieferungsordnung geregelt würden. Die Vollablieferungspflicht des Mitglieds und die Vollabnahmepflicht der Genossenschaft gäben einerseits dem Milch­erzeuger Sicherheit. Andererseits erhalte die Genossenschaft eine betriebswirtschaftlich belastbare Grundlage zur Absatz- und Investitionsplanung.

Der DRV warnte, die Infragestellung der gegenseitigen Rechte und Pflichten würde das bewährte Vermarktungsmodell der genossenschaftlichen Milchwirtschaft ernsthaft gefährden sowie deren Stellung gegenüber dem Handel und ausländischen Mitbewerbern schwächen. Die Mutmaßung des Kartellamtes, es gebe eine Abschottung des Rohmilchmarktes gegenüber neuen Molkereien, sei nicht nachvollziehbar. In den letzten Jahren hätten zunehmenden ausländischer Unternehmen auf dem deutschen Markt gedrängt.

Das DMK als unmittelbar betroffenes Unternehmen warnte, das „Kartellamt zerstört den deutschen Milchmarkt“. Die vorgeschlagenen Änderungen gingen an der Wirklichkeit der milcherzeugenden Landwirtschaft „meilenweit vorbei“. Ihre Lieferbedingungen bezeichnete das DMK als kartellrechtlich zulässig und für das Überleben der bäuerlichen Milchwirtschaft in Deutschland unabdingbar.

Befürworter aus der Politik

SPD-Agrarsprecher Dr. Wilhelm Priesmeier ist der Meinung, gerade kurze Kündigungsfristen, eine Festlegung der Preise vor Lieferung und die Vereinbarung fester Liefermengen wären eine wichtige Grundlage für einen fairen Umgang der Molkereien mit den Milchviehhaltern. Ohne diese Änderungen bleibe der Landwirt das schwächste Glied in der Kette. Das unternehmerische Risiko der Molkereien werde derzeit auf ihn abgewälzt. Kurzfristig sollten die Molkereien schon jetzt von sich aus handeln und krisenfeste Strukturen schaffen.

Der Agrarsprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Friedhelm Ostendorff, hält die Machtverteilung auf dem Milchmarkt für „asymmetrisch und höchst ungerecht“. Die große Menge von Erzeugern stehe einem Quasi-Monopol von wenigen Molkereien gegenüber. „Wir haben ein Strukturproblem“, sagte Ostendorff. Die Anpassung von Angebot und Nachfrage funktioniere auf dem Milchmarkt nicht mehr. AgE