Die Masse, die Tiere und die Haltung

"Es gibt keine Massentierhaltung in Deutschland.“ – Mit kaum einem anderen Satz hat DBV-Präsident Joachim Rukwied kürzlich auf der Grünen Woche in Berlin mehr Staunen, Kopfschütteln und Verwunderung ausgelöst: sowohl nach innen als auch nach außen. Damit hat es Rukwied „nachhaltig“, wie das heute heißt, in die Print-, Funk- und Digitalmedien geschafft.


Wo der Begriff „Masse“ in der Viehhaltung anfängt und vor allem: wo die Grenze des von der Mehrheit Unerwünschten liegt, das ist nach wie vor unklar. Selbst in den Umwelt- und Tierschutzverbänden herrscht zum Begriff der „Masse“ bzw. des „großen Betriebes“ keine einheitliche Vorstellung.

Und wenn es sie gäbe: Über die Haltungsformen, über das Befinden der Tiere, über die Krankheitsanfälligkeit und über andere ökologische Fragen ist damit noch kein Wort gesagt. An diesem Punkt fängt die Diskussion erst an – und viele stellen sich ihr: von der DBV-nahen „i.m.a.“, die zum Thema Informationsmedien bereithält, über die Veterinäre und Agrarwissenschaftler bis hin zu den Bundesforschungsinstituten zu Landwirtschaft und Tierhaltung. Kürzlich erst hat das Thünen-Institut in Braunschweig eine Studie zur Schweinehaltung vorgelegt, die zeigt, dass es „offenbar keine generelle Wirkungsbeziehung zwischen Bestandsgröße und höherer Krankheitsanfälligkeit“ gebe.

Vom Tisch gewischt

Über solche und andere Fragen wäre also zu diskutieren, und sicherlich auch über die Rolle von Begriffen in der politischen Auseinandersetzung. Große Tierbestände allerdings vom Tisch zu wischen mit dem Hinweis, es gebe sie nicht, das befremdete nicht wenige Beobachter innerhalb wie außerhalb der Agrarbranche.

Das in Düsseldorf erscheinende „Handelsblatt“ kritisierte vor allem Rukwieds versuchte Formulierungshilfe. Wie hatte der DBV-Präsident gesagt? „Massentierhaltung gibt es in Deutschland nicht, allenfalls große Ställe mit Wellness- und Relax-Zonen.“ Dieses Wort des Bauernpräsidenten erinnerte den Handelsblatt-Redakteur fatal an den RWE-Chef Jürgen Großmann, der 2009 vor laufender Kamera empfahl, man möge doch von „Kernenergie“ statt von „Atomkraft“ reden, von „Energieversorger“ statt von „Atomkonzern“. Diese Wortklauberei hat die Abschaltung der Atomkraftwerke nicht aufhalten können.

Darauf weist der Handelsblatt-Redakteur Christoph Kapalschinski in seinem Kommentar hin und zieht bedenkenswerte Parallelen zur Landwirtschaft:

„Der Agrarlobby ist die Deutungs­hoheit über die Landwirtschaft entglitten, so wie einst den Energiekonzernen die Meinungsführerschaft über die Atomkraftwerke.
Selbst dort, wo die Bauernvertreter auf Kritiker eingehen wollen, kreisen sie in ihrer eigenen Argumentationswelt. So war eine Diskus­sionveranstaltung auf der Grünen Woche über Tierschutz überschrieben mit: ,Unseren Kühen geht es gut! – Brauchen wir trotzdem einen Perspektivwechsel?‘ Solche Selbstgewissheit erinnert fatal an die Atomwirtschaft. Und so muss auch die Landwirtschaft damit rechnen, über kurz oder lang eine politische Regulierung zu bekommen, bei der sie kaum noch mitredet. Zu offensichtlich sind die Mängel bei Tierschutz und Ethik, aber auch die Belastungen für Dorfgemeinschaften.“

Fukushima im Stall

Solche Wertungen des Handelsblatt-Redakteurs mögen unter manchen Landwirten und „Agrariern“ sofort Verteidigungsreflexe auslösen. Doch Kapalschinski hat Recht, wenn er von der Aufgabe einer „kommunikativen Herausforderung“ spricht – und auch darauf, dass die Politik ein Musterbeispiel dafür abgegeben hat, wie schnell sie im Notfall reagiert. In seinem Kommentar mit dem Titel „Fukushima im Schweinestall“ weist er auf folgendes hin:

„Das Beispiel Atomkraft zeigt: Dort, wo Kritiker emotional aufgebracht sind, nützen keine technischen Argumente. Die Agrarindustrie wird mit Zahlen zur Tiergesundheit niemals gegen die Macht der Bilder von kranken Kühen und vor Schmerz brüllenden Ferkeln ankommen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach Fukushima gezeigt, wozu sie bereit ist, wenn die politische Opportunität es erfordert. Blitzartig wurden die Investitionen einer Branche entwertet und die Verbraucher mit höheren Preisen belastet. Will die Agrarindustrie nicht eines Tages nach einem schlagzeilenträchtigen Tierzuchtskandal ihre mega-Ställe zusperren müssen, muss sie den Wandel zu tiergerechterer Haltung mitgestalten.“ Str.