Wie das Weizenkorn

Wir feiern in diesen Tagen Jesus’ Kreuzigung und Auferstehung. Pfarrer Nicolai Hamilton von der ev.-luth. Kirchengemeinde in Halle macht sich zu Ostern Gedanken zum fruchtvollen Leben.

Ein Weizenkorn versteckt sich in der Scheune. Es will nicht ausgesät werden. Es will sich nicht opfern und nicht sterben. Es will sein Leben retten.

Das Weizenkorn will prall und goldgelb bleiben. Es will sich selbst finden und verwirklichen. Es wird nie zu Brot, nie gebrochen und gesegnet, nie ausgeteilt und empfangen. Es schenkt nie Leben und Kraft. – Eines Tages kommt der Landwirt. Mit dem Staub fegt er das Weizenkorn hinweg. In Staub und Wind ist das Weizenkorn verloren, einsam und sinnlos bis zum Verfall.

Wir feiern in diesen Tagen Jesus’ Kreuzigung und Auferstehung. Während der Frühling sich weiter entfaltet, das Grün an den Büschen und Bäumen zunimmt und Kinder im Garten gespannt nach Ostereiern suchen, wachsen die jungen Weizenpflanzen auf den Feldern. Sie erinnern uns an die Worte Jesu: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“

Es ist ein Prinzip der Natur. Das Korn muss erst eingesät werden, um dann im Frühjahr zu neuem Leben zu erwachen. Jesus bezieht diesen Gedanken im Gespräch mit seinen Jüngern auf sich selbst: Auch er muss zuerst ins dunkle und kalte Grab gelegt werden, bevor er als strahlender Sieger über Sünde, Tod und Teufel hervorkommen kann. Das Korn muss „sterben“, um verwandelt zu werden, um zu wachsen und Frucht zu bringen. Jesus musste sterben, um den Weg zum Leben für die vielen, für uns, frei zu machen.

Aus dem Grundsatz wird ein Prinzip des christlichen Glaubens, eine Lebensweisheit: Der Weg zu fruchtvollem Leben führt durch den Tod, die Selbstaufgabe. Jesus bezieht dies auf die Jünger: „Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt gering achtet, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“
Es geht nicht darum, das eigene Leben sinnlos wegzuwerfen. Aber: Wer etwas ernten will, muss sich für eine große Sache „opfern“. Wer nur Bequemlichkeit und Wohlgefühl erhalten will, der wird alleine bleiben – vielleicht als unzufriedener „Couch-Potato“. Unser Leben bringt dann Frucht und damit Glück und Sinn, wenn wir uns für etwas außerhalb unseres Selbst einsetzen.

Wir leben im Zeitalter der Selbstverwirklichung. In unserem Land gibt es unzählig viele Möglichkeiten, in Freiheit und Selbstbestimmung seinen eigenen Weg zu gehen. Und doch sind die Kliniken und Wartezimmer überfüllt mit ausgebrannten Seelen. Hier passen Jesu Worte: Wer sich selbst liebt, der wird sich selbst verlieren. Sind wir zu einem selbstverliebten Volk geworden, das nur um sich selbst kreist und letztlich unfruchtbar und einsam bleibt?

Jesus deutet den Ausweg an: Er liegt in Hingabe für andere bzw. anderes. Das sind Worte, die uns heute schwer über die Lippen gehen. Es gibt vieles in unserem Leben, für das es sich lohnt, sich aufzugeben. Für anderes übrigens auch nicht – es erfüllt nicht und macht nicht glücklich. An Ostern sehen wir auf Christus selbst: Er lebt! Für ihn lohnt es sich, das eigene Leben hinzugeben. Denn im Glauben an ihn finde ich erst richtig zu mir selbst. Bei ihm bekomme ich Leben mit Ewigkeits-Qualität.

Jesus ruft uns auf, Weizenkörner zu werden, die sich hingeben. Die nicht selbstverliebt in der Scheune liegen bleiben wie das eingangs erwähnte Weizenkorn. Sondern die in unserem jeweiligen Umfeld, als Saatkörner der Liebe und Treue, der Freude und Hoffnung aufgehen. Und reichlich Frucht bringen.