Keine Angst vorm Studium

Initiative Arbeiterkind.de. unterstützt junge Menschen, deren Eltern nicht studiert haben. Als Mentorin hilft die Landwirtstochter Carola Westermeier. Wir haben mit ihr über das Netzwerk gesprochen.

Initiative Arbeiterkind.de. unterstützt junge Menschen, deren Eltern nicht studiert haben. Als Mentorin hilft die Landwirtstochter Carola Westermeier. Wir haben mit ihr über das Netzwerk gesprochen.

Wochenblatt: Frau Westermeier, der Titel „Arbeiterkind.de“ bezieht sich anscheinend auf eine genau definierte Zielgruppe. Müssen die Eltern das SPD-Parteibuch in der Tasche haben?

Westermeier: Mit dem Ausdruck „Arbeiterkind“ soll deutlich gemacht werden, dass es Kinder sind, deren Eltern wahrscheinlich nicht studiert haben. Das müssen nicht die klassischen Fabrikarbeiterkinder sein. Ein politischer oder gewerkschaftlicher Hintergrund ist nicht von Bedeutung. Ich selbst stamme von einem landwirtschaftlichen Betrieb in Salzkotten-Scharmede im Kreis Paderborn. Aus meiner Erfahrung halte ich vor allem Landwirtskinder für ein Studium geeignet. Denn sie haben von ihren Eltern oftmals die Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten erfahren – eine ganz wichtige Eigenschaft für ein erfolgreiches Studium.

Wochenblatt: Laut der Sozialerhebung des deutschen Studentenwerkes studieren deutlich mehr Kinder aus Akademikerfamilien als aus Nichtakademikerhaushalten. Wie schätzen Sie das als promovierende Soziologin ein?

Westermeier: Bei Kindern, deren Eltern studiert haben, stellt sich oft gar nicht die Frage, Studium oder Ausbildung. Sie entscheiden sich sofort fürs Studium. Kindern mit der Hochschulzulassung, deren Eltern nicht studiert haben, fehlen oft die Vorbilder fürs Studium. Aus Unwissenheit und zu viel Respekt entscheiden sich viele gegen das Studium. An dieser Stelle setzt die Initiative Arbeiterkind.de an.

Wochenblatt: Schildern Sie als Mentorin bei Arbeiterkind.de, was sich die Initiative auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Westermeier: Arbeiterkind.de ist ein Netzwerk aus Ehrenamtlichen an vielen Universitätsstädten. Es möchte junge Menschen zum Studieren ermutigen und Wissenslücken zum Studium schließen. Kontakt zu den einzelnen Ortsgruppen, die sich zu regelmäßigen Stammtischen treffen, findet man online. Auch über eine Hotline können sich Kinder und Eltern beraten lassen. Die Beratung ist kostenlos und erfordert keine Mitgliedschaft.

Hilfe für die Uni
Arbeiterkind.de ist eine Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Anteil der Nichtakademikerkinder an den Hochschulen zu erhöhen und diese auf dem Weg zu ihrem erfolgreichen Studienabschluss zu unterstützen. Es gibt mittlerweile über 6000 ehrenamtliche Mentoren in über 80 Ortsgruppen in Deutschland. Das Netzwerk wurde 2008 von der Ostwest­fälin Katja Urbatsch gegründet und ist seitdem mehrfach prämiert worden.

Wochenblatt: Wo können die angesprochenen Wissenslücken liegen?

Westermeier:
Das Fragenspektrum ist sehr breit. Es beginnt mit der Frage, ob man überhaupt studieren soll und welche Perspektiven ein Studium bietet. Es setzt sich dann über konkrete Fragen zur ­Finanzierung wie BAföG und ­Stipendien über die Wohnungs­suche bis hin zu Auslandsaufenthalten fort.


Wochenblatt: Warum gehen die Schüler und Studierenden nicht zur regulären Studienberatung der Hochschulen?

Westermeier: Da bestehen manchmal Hemmungen, Fragen zu stellen, weil Eltern und Kinder denken, sie wären naiv. Dumme Fragen gibt es bei uns nicht. Bei Arbeiterkind.de spricht man mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Sie sind näher an der Realität und den Problemen der Hilfesuchenden.

Wochenblatt: In manchen Fällen sind die Eltern skeptisch gegenüber dem Studienwunsch ihrer Kinder. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?

Westermeier: Manche Eltern haben Vorbehalte, die überspitzt klingen wie: „Du verdienst in der Zeit kein Geld! Wofür soll das überhaupt gut sein? Wir haben das auch nicht gemacht.“ Das macht es für die angehenden Studierenden nicht leichter. Neben der finanziellen Herausforderung müssen sie ständig ihr Studium in der Familie verteidigen. In solchen Fällen möchten wir Kinder und Eltern ermutigen. Wir zeigen, dass es viele gute Gründe für ein Studium gibt. Angebliche Finanzierungsschwierigkeiten oder zu viel Respekt sollten einen nicht abschrecken.

Wochenblatt: Sie sprechen aus Erfahrung. In welcher Situation wurde Ihnen geholfen?

Westermeier: Meine Eltern haben mich und meine vier älteren Geschwister im Studium jederzeit bestärkt und finanziell unterstützt. Für ein geplantes Masterstudium in England suchte ich zusätzliche Förderung. Mentoren von Arbeiterkind.de halfen mir, mich erfolgreich auf ein Stipendium der Stiftung der Deutschen Wirtschaft zu bewerben. So konnte ich Leben, Studium und Studiengebühren in Großbritannien finanzieren. Ohne Arbeiterkind.de hätte ich mich wahrscheinlich nicht für das Stipendium beworben. pat


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