Fachkraft in der Warteschleife

Raffi Jrjos hatte als Agrarwissenschaftler in Syrien einen guten Job beim Landwirtschaftsministerium. Im Januar floh er nach Münster. Hier möchte er von vorn anfangen. Dabei ist unklar, ob er überhaupt bleiben darf.

Aleppo in Syrien liegt in Trümmern. Doch Raffi Jrjos kennt die Stadt noch in einem anderen Zustand als ihn uns aktuelle Nachrichtenbilder vermitteln. Er absolvierte dort seinen Bachelor in Agrarwissenschaften, Schwerpunkt Tier- bzw. Geflügelproduktion. Parallel sammelte er Arbeitserfahrung auf einem staatlichen Geflügelbetrieb in einem Dorf in der Nähe von Aleppo und verdiente sich so etwas Geld dazu.

Nach dem Uniabschluss fand er eine Anstellung im Landwirtschaftsministerium. Hier war er im Außendienst für die statistische Erfassung der regional angebauten Pflanzen und Sorten zuständig. Auf diesen Daten basieren in Syrien unter anderem die staatlichen Hilfsmittel und die Zuteilung von Düngemitteln.

In Syrien gut ausgebildet

Raffi Jrjos ist 32 Jahre alt. Vor acht Monaten floh er ins Münsterland. Für den Christen wurde es durch den Krieg immer bedrohlicher im Heimatland. Sein Asylverfahren läuft noch. Untergebracht ist der Agrarwissenschaftler mit seiner Ehefrau, einer Ingenieurin für Biotechnologie, in einer Asylunterkunft in Münster-Gremmendorf. Die beiden erwarten ihr erstes Kind. Der stolze Vater strahlt, als er das verkündet.

Chance auf Ausbildungsplatz im Gartenbau

Raffi Jrjos meldet sich bei der Agentur für Arbeit und wird zum Programm „Welcome to WiN – Work in Nature“ von der DEULA eingeladen (das Wochenblatt berichtete in Ausgabe 13/2016). Es soll 20 Flüchtlingen die Chance auf einen Ausbildungsplatz im Garten- und Landschaftsbau geben und dem Fachkräftemangel in den grünen Berufen entgegenwirken.

Elf Monate lang wurden und werden die Teilnehmer mit Deutschkursen, praktischem Unterricht im Gartenbau und einem Betriebspraktikum für eine Ausbildung fit gemacht. Auch die Orientierung in Deutschland mit Informationen über das Grundgesetz und die deutsche Kultur sind Teil der Qualifizierung.

Ob die 20 Teilnehmer dauerhaft bleiben dürfen, ist ungewiss. Auch Raffi Jrjos weiß es nicht. Aber so lange besucht der Akademiker mit Berufserfahrung das Programm, das ihn für eine Ausbildung qualifizieren soll.

Wie heißt das Wort für Gartenschlauch?

Die praktische Arbeit an der DEULA hat ein neues Interesse in ihm geweckt: Moderne Technik. Die kennt Raffi Jrjos aus Syrien nämlich kaum. Der Umgang mit Werkzeugen und Geräten ist neu für ihn. Das Baggerfahren musste er neu lernen. Auch, welcher Kraftstoff in welchen Rasenmäher kommt, war anfangs neu. Und überhaupt: Wie heißt eigentlich das Wort für Schlauch, Spaten, Schippe, Mutterboden oder Gießkanne?

Lernen, warten, lernen...

Raffi Jrjos hilft das Agrarstudium gerade nur bedingt weiter. Er muss allein bei den Sprachkenntnissen bei Null anfangen. Er selbst sieht seine Situation sehr reflektiert. Er sagt: „Das Lernen an sich fällt mir nicht schwer. Aber es ist einfach so viel Neues.“ Bis zum Betriebspraktikum in einen Gartenbaubetrieb bleibt also noch viel zu tun. Auch die Unsicherheit über sein Bleiberecht muss er weiter aushalten. „Ich warte“, sagte er. Und blättert in seinen Notizen, die er als Vorbereitung auf das Interview auf Deutsch aufgeschrieben hatte. ep

Den ungekürzten Bericht lesen Sie in Wochenblatt Ausgabe 38/2016.