Wenn Onkel Albert kommt...

Ines Niedermeyer aus Borgholzhausen hat ein Buch über den Alltag auf dem Land geschrieben – mit schwarzem Humor und Hilfe einer jungen Verlegerin.

„Einen Onkel Albert gibt es in jeder Familie“, ist Ines Niedermeyer überzeugt. Wenn das Röhren seines Autos von weither den Sonntagsbesuch des alten Herrn ankündigt, dann werden die Türen verrammelt und die ganze Familie täuscht Abwesenheit vor. Manchmal klappt’s, meistens endet der Versuch an der gemeinsamen Kaffeetafel.

Anekdoten wie diese hat Ines Niedermeyer aus Borgholzhausen im Kreis Gütersloh aufgeschrieben und „aufgespießt“. Ende 2016 ist daraus ein Buch geworden. Der Titel: „Neulich in Berghausen. Schwarzhumorige Geschichten vom Bauernhof“. Geschrieben hat die 47-Jährige schon als Kind gern. "Futter" liefert ihr seit vielen Jahren das Leben auf dem Hof mit Ehemann Rainer. ahe

Zwei der Geschichten aus dem Buch gibt es hier als Leseprobe. Im aktuellen Wochenblatt 5/2017 lesen Sie auf Seite 65 mehr darüber, wie das Buch mithilfe der Verlegerin Martina Bergmann entstand und wie sich der Kreis der Interessenten für ein solches Werk über die eigene Familie ausdehnen lässt.

Onkel Albert kommt

Die Liebe zur Verwandtschaft wächst mit den Kilometern, pflegt meine Mutter zu sagen. Wahre Worte. Sonntags kommt Onkel Albert. Er geht mit straffen Schritten auf die 90 zu, fühlt sich aber wie knapp 60. Ans Abgeben des Führerscheins denkt er noch lange nicht, wenngleich alle Familienmitglieder das anders sehen. Diverse Laternenpfähle und Zäune sind seiner Fahrweise bereits zum Opfer gefallen. Onkel Albert fährt einen heißen Reifen. Seinen uralten Mercedes Benz hört man bereits drei Kilometer vor seiner Ankunft röhren.

Sonntags nach dem Gottesdienst wirft er sich in seinen Bauern-Porsche und fährt alle Verwandten und Freunde ab. Die Verwandten aus Versmold sind genervt. Sie wollen sonntags auch mal ihre Ruhe haben und mit den Enkelkindern spielen. Sobald sie den Mercedes röhren hören, machen sie das Licht aus und schieben die Kommode vor die Haustür. Tante Alma quetscht sich in der Küche zwischen Kühlschrank und Anrichte. Dieser Platz ist vom Fenster aus nicht einsehbar. Onkel Hermann hockt in der Dusche, die Enkelkinder Eva und Paul kriechen unters Ehebett. Onkel Albert klingelt Sturm. Nach drei Minuten Dauerklingeln beginnt er ums Haus zu laufen und schaut in alle Fenster. „Hallo?“, ruft er laut und klopft mit seinen knochigen Fingern an die Scheibe. Irgendwann gibt er auf. Auf seiner Liste stehen noch zehn andere Anlaufstellen. Irgendjemand wird er wohl erwischen.

Viola hat auf unseren Kaltblutpferd einen Sonntagsausritt gemacht. Anton ist sehr entspannt und macht einen riesigen Haufen Pferdeäpfel mitten auf den Hof. Ich reiße das Fenster auf: „Viola, mach das bitte sofort weg! Mit Sicherheit kommt gleich Onkel Albert, und der schafft das, mitten durch diesen gigantischen Scheißhaufen zu fahren!“ „Ja, ja, Muttern“, Viola sattelt das Tier ab, bringt es auf die Weide und geht ins Haus. Der Mercedes kommt röhrend und hustend angefahren. Onkel Albert fährt mit einem Affenzahn auf den Hof. Mitten durch den Haufen, ich habe es gewusst!

Er latscht ins Haus. Dass ihn der Hund auf der Deele zähnefletschend empfängt und seine Hosenbeine auseinander nimmt, beeindruckt ihn wenig. „Hallo?“ und nochmal, er räuspert sich, „hallo?“ Mein Ehegatte läuft draußen gebückt durch die Büsche und versteckt sich im Baumhaus der Kinder. Ich habe keine Chance. Onkel Albert wandert schmerzbefreit durch die Wohnung und öffnet jede Zimmertür. „Ach, hier bist du.“ Er hat mich im Badezimmer gefunden. „Ich wollte mal sehen, was Ihr so macht“, bemerkt er. „Gibt es schon eine Tasse Kaffee?“

Drei Wochen später liegen mein Mann und ich auf dem Rasen am Teich. Der Ehegatte schläft mit halb geöffnetem Mund und schnarcht ein bisschen. Ich schaue dem lustigen Treiben der Enten zu. Onkel Albert kommt auf den Hof gebrettert. Schnell stelle ich mich auch schlafend, vielleicht fährt er dann ja wieder. Mein Ehemann schnorchelt und dreht sich auf die Seite. Onkel Albert räuspert sich mehrmals und legt sich dann zwischen uns. Mir fehlen die Worte. Seufzend stehe ich auf und mache Kaffee. Onkel Albert freut das sehr. Ein Pläuschchen in der Sonne am Teich hat durchaus Lebensqualität. Er ist nur etwas enttäuscht, dass es keinen Kuchen gibt. Gegen eine frisch aufgeschnittene Ananas und Erdbeeren aus dem Garten hat er jedoch nichts und langt kräftig zu. Plötzlich verzieht er das Gesicht und würgt. Die Kaffee-Ananas-Erdbeer-Kombination überfordert seinen Magen. Onkel Albert stürzt zum Teich und lässt alles raus. Seine dritten Zähne plumpsen ins Wasser und treiben gen Entenhaus. Ich werde wahnsinnig. An diesem Abend werde ich ein ernstes Wort mit meinem Ehemann sprechen. Thema: Sonntägliche Besucher. Und wie man sich vor ihnen schützen kann.


Die Bauernhochzeit


Der Jungbauer aus dem Freundeskreis beabsichtigt zu heiraten und sich fortzupflanzen. Darüber freuen sich alle. Mit Ende Zwanzig sollte man als Bauer dann auch mal loslegen und für reichlich Nachwuchs sorgen. Immerhin braucht so ein landwirtschaftlicher Betrieb einen Nachfolger! Es soll aber keine rustikale Hochzeit auf der Deele des eigenen Hofes werde – die Braut hat Eleganteres im Sinn. Natürlich soll es der schönste Tag ihres Lebens werden. Gespannt verfolgt der Freundeskreis die Hochzeitsvorbereitungen. Die Lokalität, in der das große Fest stattfinden soll, ist die Nummer 1 am Platz. Dagegen kann die eigene Deele nun wirklich nicht anstinken! Um die beste aller besten Hochzeitstorten zu bekommen, werden alle Konditoreien im Umkreis von Kilometern aufgesucht. Das Brautpaar testet und verkostet mit Hingebung. Kalorien spielen dabei keine Rolle, denn die Braut ist von zierlicher Gestalt. Da wird das Brautkleid auch nach dem 40. Stück Schwarzwälder Kirschtorte noch passen.

Nachdem die Einladungen auf feinstem Büttenpapier raus sind, bekommen wir einen Ordner, in dem die Geschenkwünsche schriftlich aufgelistet sind. Spätestens jetzt wird klar, dass die Braut die Zügel der Hochzeit komplett in der Hand hat. "Ha!", sagt mein Ehegatte, "jetzt guck dir das an! Die wünscht sich Schnapsgläser für 26 Euro das Stück. Na, das möchte ich mal sehen, wie der Michael aus so edlem Kristall mit seinen Schützenbrüdern Korn trinkt! Ist ja lachhaft!" Er blättert weiter. "Und hier! Ein Servierlöffel für 38 Euro. Der hilft ihr auch nicht, wenn ihr die Bratkartoffeln angebrannt sind!" Er gibt mir den Ordner. "Pass auf", sage ich, "da sind hinten noch leere Seiten. Die füllen wir jetzt für die Leute, die nicht so viel Geld ausgeben wollen. Das wird ein Spaß!" Fliegenklatsche von Woolworth (79 Cent) und Klobürste vom Baumarkt für ein Euro achtzig, steht nun hinten im Ordner, welchen wir mit Freuden an die anderen Gäste weitergeben.

Endlich ist der große Tag da! Der Pastor hält seine Rede, Reis und Bonbons werden geworfen, die Kutsche steht bereit. Leider mögen die Pferde das mit dem Bonbon-Geschmeiße und den vielen Leuten nicht. Sie werden nervös, der Kutscher kämpft. Er drängt zur baldigen Abfahrt. Auf dem Weg zum edlen Restaurant kommt es dann beinahe zur Katastrophe. Die Gäule drohen durchzugehen und das Brautpaar nebst Brauteltern muss aus Sicherheitsgründen das Gefährt verlassen und die letzten zwei Kilometer zu Fuß gehen. Die vier Schimmel fliehen samt Kutscher und Kutsche im gestreckten Galopp ins Nirgendwo, die Schleppe der Braut schlürt über den Acker. Wir fahren sicher im Benz. Meine Schwiegermutter mäkelt mal wieder rum. Sie hat sich über den Hausarzt geärgert. "Dem habe ich doch eine Todesanzeige von Tante Lisbeth geschickt. Mit Kaffeekarte! Gekommen ist der ja nicht!" Mein Ehegatte, ihr Sohn, kontert: "Wenn der zu allen Beerdigungen seiner Patienten ginge, dann könnte er seinen Laden dichtmachen. Du hast vielleicht mal Vorstellungen!" Dagegen kann sie nichts sagen und schweigt.

Wir sind da! Es werden Fotos gemacht, Geschenke überreicht, Glückwünsche ausgesprochen. Das dauert… Ich habe Hunger. Endlich geht es zu Tisch. Auf jedem Tisch steht eine Einwegkamera, damit sich die Gäste gegenseitig in lustigen Posen ablichten können. "Los!", zischt mein Mann noch vor dem ersten Gang. "Nimm das Ding und fotografiere die Damentoilette!" Sein plötzlicher Hang zum Bösen imponiert mir.

Nach einem opulenten Mahl beginnen die üblichen Hochzeitsspiele, die Hochzeitszeitung wird vorgestellt, die Tanzerei beginnt. Die Schützenbrüder sitzen an der Theke und brüllen.
Um ein Uhr nachts, nachdem die Torte der besten Konditorei im Umkreis von 30 Kilometern verzehrt worden ist, beginnt die Braut plötzlich die Geschenke auszupacken. Sie hat die Nase voll und will nach Hause. Das Gegröle und die Schnapssauferei gehen ihr auf den Wecker. Sie trinkt keinen Alkohol und muss sich deshalb schon den ganzen Abend dumme Sprüche anhören. Aber wir kommen vom Land. Wir feiern auch ohne sie weiter. Kein Thema! Hauptsache sie hat Gefallen an unserem Geschenk! Mein Ehegatte hat in dem Geschenkeordner nichts Passendes gefunden und deshalb eine Karte gebastelt, in der steht:

"Liebes Brautpaar!
Alles Gute für die Zukunft.
Dies ist ein Gutschein für ein Ferkel, könnt ihr euch im August bei mir abholen!
Herzliche Grüße!"

Was Geschenke angeht, da sind wir echt nicht zu toppen!