Mein Kind, der Bandenchef

Ärgern, Lästern, Schubsen ist nicht schön, kommt aber immer wieder vor. Und was tut man, wenn das eigene Kind nicht Opfer ist, sondern Täter?

Eine Gruppe Jungs im Grundschulalter spielt im Park, es kommt zum Streit zwischen Ferdinand und Bruno. Ferdinand nimmt einen Stock und schlägt ihn Bruno ins Gesicht, dem brechen dabei zwei Zähne ab. Das ist eine fiktive Szene aus dem Film „Der Gott des Gemetzels“. Aber auch im wahren Leben kommt so etwas täglich vor, auf dem Schulhof, im Kindergarten, im Bus, auf dem Spielplatz: Hänseln, Ausschließen, Lästern, Auslachen, Schlagen.

Nichts davon wünschen sich Eltern für ihre Kinder und versuchen, sie aufzuklären und zu schützen, wo und wie es nur geht. Die potenziell Bösen sind in diesen Gedanken immer die anderen. Aber was macht man als Eltern von Ferdi­nand? Oder als Mutter von Lisa, die allen Kinder in der Kita-Gruppe die Arme blau kneift? Als Vater von Tom, dem Chef der Schulhofgang, der handgreiflich wird, wenn ihn jemand nur schief anguckt? Kurz: Was, wenn das eigene Kind das böse Kind ist?

Kein Kind ist böse

„Erst mal lassen Sie schön den Begriff ,böse‘ weg“, sagt Bodo Reuser, Psychologe, Psychotherapeut und Mitarbeiter der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. „Kein Kind ist böse. Da muss man trennen zwischen Handlung und Person. Nicht das Kind ist falsch oder fies oder nicht in Ordnung – sondern das, was es getan hat.“ Und daran muss man dann arbeiten.

„Spielen wir so eine Situation einmal durch“, sagt Bodo Reuser. „Da ruft also die Schule an und sagt, Ihr Kind hat dies oder das angerichtet und Sie sollen es abholen.“ Unterwegs geht den Eltern vieles durch den Kopf: „Dem werd’ ich die Leviten lesen, das fällt doch alles auf uns zurück!“ Oder: „Bestimmt wurde er provoziert.“ Oder: „Die Lehrer haben wahrscheinlich gequasselt, statt rechtzeitig einzugreifen.“ Solche Gedanken sind normal, hingeben sollte man sich ihnen jedoch nicht. „Erst mal holen Sie einfach nur Ihr Kind ab. So wie es gerade ist.“ Sitzt da ein heulendes Häufchen Elend, trösten Sie es. Ist es außer sich, beruhigen Sie es. Randaliert es, stoppen Sie es.

Muss nichts dringend geregelt werden, verschieben Sie ein Gespräch mit den Eltern der betroffenen Kinder oder den Lehrern auf später, wenn Sie und alle andern wieder einen klaren Kopf haben.

Moralpredigt vermeiden

Das Eisen schmieden, wenn es kalt ist, so nennt es der bekannte dänische Erziehungsexperte Jesper Juul. Das gilt auch für ein Gespräch mit dem Kind. Auf dem Heimweg könne man ankündigen: „Ich möchte in Ruhe mit dir darüber reden und dir ein paar Sachen sagen, die mir wichtig sind. Sag Bescheid, wenn du bereit bist.“

Was man dann so redet, beim eigentlichen Gespräch? Das hängt natürlich davon ab, ob das Kind fünf Jahre alt ist oder zehn, ob es um Sachbeschädigung geht, einen eskalierten Streit oder systematische Gewalt, aber: „Sie dürfen schon sagen, dass Sie erwarten, dass es nicht schlägt oder nichts absichtlich kaputt macht. Aber es sollte keine Moralpredigt werden.“ Also nicht: Warum hast du das gemacht? Kannst du dich nicht mal benehmen? Wie stehen wir denn jetzt da? Woher hast du das nur? Sondern eher: Kannst du erklären, wie es dazu kam? Was könntest du beim nächsten Mal anders machen? Wer könnte dir dabei helfen?

„Nehmen Sie ruhig die Perspektive Ihres Kindes ein“, sagt Bodo Reuser und lacht: „Das kann man als Eltern sowieso kaum verhindern. Aber behalten Sie eine gewisse Kritik und Distanz.“ Es geht nicht nur darum, den Vorfall aufzuklären. Ein solches Gespräch schult die Sozialkompetenz der Kinder viel mehr, als wenn immer nur die Eltern und Erzieher reden und alles regeln. Und man bekommt vielleicht zu hören, worum es wirklich gehen mag. Denn hinter aggressiven Ausbrüchen kann auch ein Hilferuf stecken. Sigrid Tinz

Den ausführlichen Beitrag lesen Sie im Wochenblatt Folge 13 ab Seite 88.