„Kannst du nicht schreiben?“

Wenn jemand nicht gut lesen und schreiben kann, redet er nicht darüber. Bei einem Workshop gegen Analphabetismus am Arbeitsplatz lernten die Teilnehmer, Betroffene zu erkennen, anzusprechen und ihnen zu helfen.

Iris Rademacher, Kommunikations- und Motivationstrainerin aus Iserlohn, und Andrea Lemm von der Volkshochschule Lippe-Ost, zeigten den Teilnehmern, wie sie funktionale Analphabeten erkennen, richtig ansprechen und ihnen helfen können.

Typische Merkmale von funktionalem Analphabetismus sind demnach:

  • Eine Person drückt sich davor, zu lesen oder zu schreiben.
  • Sie hat Schwierigkeiten und Angst beim Schreiben und Lesen.
  • Schriftverkehr wird vermieden, Angelegenheiten werden lieber telefonisch oder persönlich geregelt.
  • Eine Begleitperson füllt die Papiere aus.
  • Vermeiden: „Sie können das besser“, „Das Formular nehme ich mit nach Hause“.
  • Ausreden: „Ich habe meine Brille vergessen“, „Meine Hand tut weh“, „Die Schrift ist zu klein“.
  • Die Person erbringt keine schriftlichen Nachweise wie Protokolle oder Berichte.
  • Sinn schriftlicher Dokumente, Einladungen, Texte, Anweisungen, Aufforderungen wird nicht verstanden und nicht beachtet.
  • Die Person kann den Inhalt eines Textes nicht wiedergeben.
  • Sprachlich fallen Betroffene durch falschen Satzbau auf. Oft sprechen sie in kurzen Sätzen.

Nützliche Links:

www.mein-schlüssel-zur-welt.de

www.ich-will-lernen.de

www.ichance.de

www.lippe-bildungsberatung.de

www.alphabetisierung.de

Das kostenlose, anonyme Alpha-Telefon: (08 00) 53 33 44 55

Betroffene ansprechen

Analphabetismus ist für die meisten in der Gesellschaft noch immer ein Tabuthema. Iris Rademacher rät zu Offenheit: „Seien Sie sensibel, aber bestimmt.“ Warten Sie eine passende, konfliktfreie Gelegenheit ab. Sprechen Sie unter vier Augen und wahren Sie Anonymität. Benennen Sie das Problem: „Sie wollen das nicht hier ausfüllen? Kann es damit zu tun haben, dass Sie Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben?“ Betonen Sie, dass es viele Menschen sind, die nicht lesen und schreiben können. Motivieren Sie, setzen Sie auf Stärken der Person und bieten Sie Ihre Hilfe an.

Ist das Tabu gebrochen und der Betroffene will den Neuanfang wagen, begleiten Sie ihn. Es gibt folgende Möglichkeiten:

Nehmen Sie Kontakt zu einer Bildungsberatungsstelle auf. Fragen Sie an Volkshochschulen nach Lernangeboten für funktionale Analphabeten. Informieren Sie sich über die Ansprechpartner, Zusammensetzung der Kurse und Kosten.

Kurse finden Sie auch über die regionalen Bildungsnetzwerke oder das Alphanetz NRW. Das ist ein Netzwerk zur Alphabetisierung und Grundbildung in NRW. Im Kreis Lippe gibt es in Detmold, Lemgo und Bad Salzuflen Selbstlernzentren. Die Kosten betragen 25 € bzw.15 € ermäßigt für zwei Monate.

Größere Gruppen sind allerdings nicht für jedermann geeignet. „Eine Förderung nach dem Gießkannenprinzip ist für manche nicht das Richtige. Effektiver ist eine 1 : 1-Betreuung“, räumte Iris Rademacher ein. Die Preise für eine intensive Schulung liegen zwischen 60 und 100 € je Stunde.

Für die Finanzierung der Alphabetisierungskurse von Berufstätigen gibt es in NRW keine Regelförderung. Klein- und mittelständische Unternehmen sowie landwirtschaftliche Betriebe sollten das laufende Verbundprojekt „BasisKom“ nutzen. Darüber können sie für ihre Mitarbeiter Gelder für Einzelcoachings bekommen. Wenden Sie sich bitte an:

  • Arbeitsgemeinschaft für politische und soziale Bildung im Land Nordrhein-Westfalen, Tel. (02 11) 9 38 00 23, Ansprechpartnerin ist Ariane Münchmeyer. rk

In Wochenblatt-Ausgabe 30/2015 berichten wir aus dem Alltag eines funktionalen Analphabeten.