Integration braucht Zeit

„Eine neue Heimat in Lippe“ war das Thema beim Neujahrsempfang der Landfrauen im Kreisverband Lippe. Drei Frauen unterschiedlicher Herkunft berichteten, was sie nach Lippe gebracht hat.

Ob ein Ort zur Heimat wird, hat nichts damit zu tun, wie lange ein Mensch dort lebt. Es hängt von ihm und den Menschen um ihn herum ab. Integration ist schwierig, aber nicht unmöglich. „Eine neue Heimat in Lippe“ darum ging es vergangenen Sonnabend beim Neujahrsempfang der Landfrauen im Kreis Lippe in Blomberg.

Bettina Hörstmeier begrüßte 170 Teilnehmer. Dann stieg die stell­ver­tre­tende Kreis­vor­sit­zen­de ins Thema ein. Dazu gab sie erst einen historischen Einblick in die Migration in Lippe. Dann holte sie drei Frauen auf das Podium. Sie sind unterschiedlicher Herkunft und haben heute eine Heimat in Lippe.

Mutter war auf der Flucht

Helga Reitzig aus Asendorf berichtete über das Schicksal ihrer Mutter. Die heute 96-Jährige war 1945 mit ihr schwanger. „Der Krieg tobte in Ostpreußen. Deutsche wurden gehasst, ihre Häuser zerstört. Meine Familie floh von Magdeburg nach Berlin.“ Wie viel Schlimmes ihrer Mutter auf der Flucht zugestoßen ist, kann sie nur vermuten. Denn die Gewalt während der Flucht wird tabuisiert.

Helga Reitzig weiß, dass ihre schwangere Mutter von einer Bäuerin aufgenommen wurde. „Drei Jahre haben wir bei ihr gewohnt, bis mein Vater uns nach Köln geholt hat“, erzählt die heute 72-Jährige. 1964 ist Helga Reitzig nach Lippe gezogen. „Hier ist meine Heimat“, sagt sie. Mit Blick auf die aktuelle Situation fordert sie: Offenheit im Umgang mit Flüchtlingen. „Denn niemand verlässt freiwillig sein Heimatland.“

Rückkehrer nicht willkommen

Helena Heer aus Schlangen ist Russland-Deutsche stammt aus Kirgisien. Ihre Geschichte hat auch mit dem 2. Weltkrieg zu tun. Als der Krieg mit Hitler drohte, flüchtete ihre Familie in den Westen. Doch nach Ende des Krieges musste die Familie, die in Wuppertal lebte, per Erlass der Großmächte zurück. 20 Jahre lebten sie in Kirgisien und erlebten, wie Rückkehrer dort angefeindet wurden: „Ihr habt hier nichts zu suchen.“

Erst nach unendlich vielen Anträgen konnten die Familie 1976 zurück nach Deutschland. Helena Heer wohnt seitdem in Schlangen. Aktuell engagiert sich die 55-Jährige in der Flüchtlingshilfe. Sie schlägt schnell Brücken zu Neuankömmlingen aus Georgien oder Aserbaidschan, weil sie deren Sprache spricht. „Ich merke, Sie haben gleiche Probleme wie wir damals.“

Das Zuhause war fremd

Dr. Farbia Sedehizadeh aus Barntrup ist 1980 aus Persien nach Deutschland gekommen und kennt die Angst vor Ausweisung, die Unsicherheit und das Heimweh der Flüchtlinge und Migranten. Sie hat es selbst erlebt. „Mein Vater hat mich 1980 zum Studium nach Deutschland geschickt.“ Das Pharmaziestudium beendete sie 1988. Dann fingen die Sorgen und der Kampf mit den Behörden um die Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung an. 1990 musste sie zurück in ihre Heimat, den Iran. Aber hier fühlte sie sich fremd.

Zu sehr hatte sie sich an das gesellschaftliche Leben in Deutschland gewöhnt. Für eine Forschungsarbeit konnte sie wieder nach Deutschland. Doch ihre Aufenthaltserlaubnis musste sie immer wieder auf’s Neue verlängern. „Es war ein ständiger Kampf gegen bürokratische Windmühlen“. Heute leitet die 60-Jährige eine Apotheke in Barntrup. Weil sie selbst erlebt hat, wie wichtig die Sprache für die Integration ist, gibt sie Asylanten Deutschunterricht.

„Integration braucht Zeit“, fasste Moderatorin Bettina Hörstmeier zusammen. Ihr Aufruf: „Wir müssen mit den Menschen ins Gespräch kommen.“ rk