Bauer bucht Frau

Einblicke in eine Tabu-Zone: Prostitution ist nicht nur ein städtisches Phänomen, sondern auch auf dem Land zu finden. Doch darüber spricht selten jemand. Wir wollten es genauer wissen und haben uns in Westfalen umgehört.

Eine Fahrt über die Landstraßen Westfalens führt vorbei an Feldern, Wiesen und idyllischen Bauernhöfen. Gelegentlich leuchten rote Herzen an Häusern auf. Es sind schlichte, oft mit hohen Hecken ausgestattete Bordelle mit Namen wie „Garten Eden“, „Club Klein Paris“ oder „Love Paradise“.

Wer darauf achtet, entdeckt auch an vielen anderen Ecken Hinweise auf käuflichen Sex: einsame Wohnwagen auf Waldwegen, schlüpfrige Werbung in regionalen Anzeigenblättchen und ein schier unendliches Angebot im Internet. Nähe, Sex und Zärtlichkeit gegen Geld – nur einen Klick entfernt.

Prostitution gilt weithin als ein städtisches Phänomen. Dabei findet sie in vielen Nischen statt, auch auf dem Land. Hier wie dort ist sie vor allem eines: ein Tabu.

Die "eine" Prostitution gibt es nicht

Den klassischen Straßenstrich gibt es auf dem Dorf so gut wie nie. Oft findet Prostitution in privaten Wohnungen statt, in Bordellen und in Wohnwagen, die auf abgelegenen Parkplätzen stehen. Manchmal sind die Frauen (und seltener Männer) hauptberuflich Sexarbeiter, manchmal bessern sie nach Feierabend nur ihre Haushaltskasse auf.

„Die ‚eine’ Prostitution? Die gibt es nicht.“ Das sagt Claudia Zimmermann-Schwartz, die Leiterin des nordrhein-westfälischen "Runden Tisches Prostitution". Sie hörte im Auftrag des Gesundheitsministeriums NRW vier Jahre lang rund 70 Sachverständige zu dem Thema an, besuchte Sexarbeiterinnen, Freier, Bordellbetreiber und sprach mit Beratungsstellen und der Polizei. „Differenzieren“, so sagt sie, heißt das Zauberwort.

In den meisten Fällen von Prostitution arbeiten die Frauen unter einem Pseudonym und halten ihren (Neben-) Job vor anderen Arbeitgebern, der Familie und Freunden geheim. Zu groß ist das Tabu und die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. Das bestätigen die Diplom-Sozialarbeiterin Sabine Reeh und die Pfarrerin Birgit Reiche von der Soester Beratungsstelle "Tamar" der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen. Bei den dort beratenen Frauen handelt es sich häufig um solche, die aussteigen möchten.

Zahlen aus einer Grauzone
Verlässliche Zahlen zur Prostitution gibt es nicht, wohl aber Schätzungen zur Anzahl der Sexarbeiter in Nordrhein-Westfalen:
Die "Landesarbeits-gemeinschaft Recht/ Prostitution" (Gemeinschaft von Beratungsstellen) schätzt 25.000 bis 28.000, der „Runde Tisch“ sogar bis zu 45 000.
Die Beratungsstellen der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen wissen von über 300 Clubs oder Wohnungen im Regierungsbezirk Detmold, in denen über 2200 Prostituierte arbeiten.
Allein im Kreis Soest halten sich aufs Jahr verteilt etwa 500 angemeldete Prostituierte auf, die häufig weiterziehen.
Etwa 100 bis 120 Sexarbeiter sind gleichzeitig in Soest tätig. Seit Oktober 2014 haben 240 Frauen das Angebot der Beratungsstelle "Tamar" genutzt. ep

Wer sind die Freier?

Nicht nur die Sexarbeiterinnen sind laut Sabine Reeh mobil und wollen nicht erkannt werden, sondern auch die Männer. Sie nehmen weite Wege in Kauf. „Die Kunden aus der Stadt fahren aufs Land, die vom Land in die Stadt. Es geht ja keiner in seinem eigenen Ort in den Puff“, sagt Birgit Reiche. Und dank Internetportalen findet man alles mit nur einem Mausklick.

Die Kunden einer vom Wochenblatt befragten Sexarbeiterin genießen den Luxus, dass sie zu ihnen nach Hause kommt. Auf dem platten Land, so erzählt die Siegerländerin, sind einige ihrer Kunden auch Landwirte, die alleine einen Hof in Einzellage bewirtschaften. „Einen Stammkunden habe ich, da komme ich immer mit Gummistiefeln hin, weil ich weiß, dass wir sowieso erst im Stall die Tiere anschauen.“

Im Haus tauscht sie die Gummistiefel gegen halterlose Strümpfe und verführerische Dessous. „Das Bedürfnis nach Berührung und Zärtlichkeit ist sehr groß“, erzählt sie, ohne rechtfertigend zu klingen. „Die Männer sind schon eher schwierig,“ erzählt sie zögernd. Sie sucht nach der richtigen Formulierung. Man spürt, dass sie nicht ungerecht oder anklagend klingen möchte. „Die Männer sind gesellschaftlich isoliert. Ihnen fehlt die Fähigkeit, sozial zu sein.“ Andererseits schränkt sie ein: „Alle Männer sind unterschiedlich. Es gibt nicht ‚den’ Kunden.“

Kein Job wie jeder andere

Auch Pfarrerin Birgit Reiche ist sich sicher: „Es gibt keinen „Typ Freier“. Der junge, alleinstehende Mann geht genauso zu einer Prostituierten, wie der 80-jährige, der sexuell noch aktiv ist.“

Die kirchlichen Beratungsstellen um Pfarrerin Birgit Reiche unterscheiden klar zwischen gezwungener und freiwilliger Prostitution. Sie geben zu bedenken: „Prostitution ist kein Job wie jeder andere. Hier ist man einem weit höheren Risiko von struktureller, körperlicher und seelischer Gewalt ausgesetzt.“ Deshalb muss eingegriffen werden, wenn ausbeuterische Zustände herrschen. Und Beratungsstellen müsse es überall geben, wo Prostituierte arbeiten. Eben auch auf dem Land.

Die aktuelle Debatte über das neue Prostituiertenschutzgesetz bringt die Thematik wieder in Schwung. Allerdings, sagt Birgit Reiche, herrsche im öffentlichen Diskurs und in den Medien ein „großer Voyeurismus“. Man könne die Frage ja ruhig stellen, was mit der Würde einer Frau geschieht, die ihren Körper verkauft. „Aber“, so die Theologin, „dabei herrscht auch viel Scheinheiligkeit.“ Eva Piepenbrock


Die ausführliche Reportage zu diesem Thema sowie ein zusätzliches Interview "Wer sind die Kunden?" mit der Berliner Diplom-Soziologin Christiane Howe findet sich im aktuellen Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben, Folge 38, vom 17. September 2015.