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Oberhalb des Dorfes Oeynhausen bei Nieheim im Kreis Höxter gibt ein ungewöhnliches Gebäude Rätsel auf. Vor allem die mehrarmige, an einem Mast befestigte Metallkonstruktion auf dem Dach wirft die Frage auf: Was ist denn das?

Die Lösung: Es handelt sich um die nach alten Plänen rekonstruierte „Station Nr. 32“ der optisch-mechanischen Telegrafenlinie, die der preußische Staat im 19. Jahrhundert von Berlin über Köln bis Koblenz angelegt hat. Die Linie sollte einen raschen Nachrichtenaustausch mit seinen westlichen Provinzen am Rhein gewährleisten. Auf der rund 600 km langen Strecke entstanden zwischen 1832 und 1833 insgesamt 62 optische Telegrafenstationen. Die Entfernung zueinander betrug durchschnittlich etwa 10 km.

Eine Depesche brauchte 90 Minuten

Es dauerte etwa 90 Minuten, um auf der Strecke Berlin-Köln eine etwa 30 Worte umfassende Depesche zu übermitteln. Mithilfe des Wörterbuchs der „Telegraphisten-Correspondenz“ ließen sich Buchstaben, Zahlen, Silben, Wörter, Namen, „allgemeine Redesätze“ oder auch Befehle bilden. Grußformeln, Höflichkeitsfloskeln und andere Inhalte wurden beim Chiffrieren weggelassen und später wieder eingesetzt.

Das längste Denkmal Deutschlands
Das rekonstruierte „Telegraphisten-Etablissement“ gehört zum vermutlich längsten Denkmal Deutschlands. Die einstige, 600 km lange Kommunikationslinie zwischen Berlin und Koblenz soll durch einen teilweise bereits realisierten "Telegrafenradweg" erschlossen werden.
In Westfalen verbindet eine als „Telegrafenweg“ bezeichnete Wanderstrecke bereits die ehemalige Telegrafenstation Nr. 30, die sich auf dem Hungerberg unweit der Abtei Marienmünster befunden hat, mit der früheren Station Nr. 31 auf dem Lattberg nordöstlich von Nieheim. Aussichtstürme erinnern an die Geschichte der optisch-mechanischen Nachrichtenübermittlung. Eine zusätzliche Attraktion bietet der Lattbergturm, in dessen Treppenaufgang großformatige Informationstafeln zu einer Reise durch die Erdgeschichte einladen. Außergewöhnlicher Höhepunkt der Präsentation ist dort die Replik eines 4,50 m langen, ca. 185 Mio. Jahre alten Paddelechsenfossils, das 2007 in einer nahen Tongrube entdeckt wurde.

Herzstück jeder Station war das Dienstzimmer mit dem Apparat zum Einstellen der beweglichen Signalarme. Über ein System aus Kurbeln, Seilen und Rollen konnte der „Kurbeltelegrafist“ die für preußische Anlagen dieser Art üblichen sechs Anzeiger, die „Indikatoren“, auf dem Dach bewegen.

Nur für das Militär

Sie konnten jeweils in Winkeln von 45°, 90° oder 135° zum Mast einrasten. Bei sechs Anzeigern ergab das insgesamt 4096 Einstellmöglichkeiten. Davon allerdings wurden nur etwa 2000 Varianten genutzt. Die Anweisungen gab der Spähtelegrafist, der mit einem Fernrohr die Nachbarstationen beobachtete.

Die Telegrafenlinie war eine militärische Einrichtung, die ausschließlich amtliche Depeschen übermittelte. Den Telegrafistendienst versahen daher Soldaten. Die normalerweise ortsfremden Personen lebten mit ihren Familien im Stationsgebäude, zu dem auch Stall und Garten gehörten. Für die Verschlüsselung und spätere Dechiffrierung geheimer Nachrichten waren Offiziere zuständig, die vom König ein entsprechendes Privileg erhalten hatten.

Telegrafiert werden konnte allerdings nur bei „vorzüglicher Luft“. Weil sich diese Abhängigkeit von passenden Sichtverhältnissen als gravierender Nachteil erwies, wurde die optische Telegrafenlinie bereits ab 1849 wieder aufgegeben. Die Zukunft der schnellen Nachrichtenübertragung lag in der mittlerweile erfundenen elektrischen Telegrafie, die weder an Witterungsbedingungen noch an Tageszeiten gebunden war.

Ende und Neuanfang

Die nun nicht mehr benötigten Stationsbauten wurden umgenutzt oder abgebrochen. An die frühere Station Nr. 32 bei Oeynhausen erinnerte lange Zeit lediglich ein Schutthügel. 1978 legten Oeynhäuser Heimatfreunde die Grundmauern wieder frei, zwischen 1980 und 1984 entstand darauf die Rekonstruktion einer Telegrafenstation. Während ein Teil der Räume für Veranstaltungen genutzt wird, beherbergt der Turmanbau mit dem Wachzimmer, das samt technischer Einrichtung wiederhergestellt wurde, ein kleines Museum. Besucher erhalten zahlreiche Informationen zur historischen Entwicklung der optischen Telegrafie. Anhand einer nachgebauten Apparatur lässt sich die optisch-mechanische Nachrichtenübermittlung anschaulich demonstrieren. 

Tipps für Besucher

Die Station Nr. 32 bei Nieheim-Oeynhausen ist von April bis September jeweils am letzten Sonntag im Monat von 14 bis 18 Uhr geöffnet, außerdem nach Vereinbarung unter Tel. (0 52 74) 9 58 26.

Text und Foto: Annette Fischer