Kalkül gegen Gefühl?

Eine Ausstellung in Mettingen blickt hinter die Kulissen von Familienunternehmen.

Die Unternehmerin Bernardine „Dina“ Falke in Schmallenberg muss sehr energisch aufgetreten sein. Um ein Haar hätte ihr Ehemann die kleine ländliche Strickwarenfabrik 1899 in das 50 km entfernt liegende Wenden verlegt und seine Beschäftigten an eine Konkurrentin im Ort abgetreten. „Ehe das passiert, soll unser Haus erst in Flammen aufgehen!“, soll Dina Falke gefaucht und damit die Pläne verhindert haben.

Solche intimen Blicke hinter die Kulissen von Familienunternehmen erlaubt eine Ausstellung im Museum „Draiflessen Collection“ in Mettingen, Kreis Steinfurt. Die Schau mit dem Titel „Phänomen Familienunternehmen“ widmet sich einem Thema, dass die Wirtschaft in Deutschland stark geprägt hat – und bis heute prägt. Gerade in Westfalen befinden sich viele kleine und große Unternehmen in Familienbesitz, man denke nur an Namen wie Claas, Mohn, Oetker oder Tönnies, um nur diese Beispiele zu nennen.

Westfälischer Superlativ

In Westfalen ist vor gut 550 Jahren das älteste, bis heute existierende Familienunternehmen Deutschlands entstanden. Aus einer 1467 in Ferndorf bei Siegen erstmals erwähnten Hammerschmiede ging die bis heute existierende „BGH-Edelstahl“-Gruppe hervor.

Was ist Draiflessen?
Die „Draiflessen Collection“ ist ein privates Museum in Mettingen (Kreis Steinfurt). Das Haus mit 800 m2 Ausstellungsfläche gehört dem Familienverband Brenninkmeyer/Brenninckmeijer, dem Haupteigentümer des Textilhandelskonzerns C & A. Er wurde vor 175 Jahren von den aus Mettingen stammenden Bauernsöhnen Clemens und August Brenninkmeyer in Sneek/Friesland gegründet. Um die Zeugnisse der Unternehmens- und Familiengeschichte zu sammeln, zu bearbeiten und auszustellen, hat die Familie vor einigen Jahren die „Draiflessen Collection“ ins Leben gerufen. Dieser Name geht auf die frühere Geheimsprache der Wanderhändler zurück. Er bezieht sich auf den Handel mit Leinen und steht im übertragenen Sinn für „Herkunft, Heimat“. Str.

Anlass für die Schau in Mettingen ist ein anderes Jubiläum: Vor 175 Jahren wurde das Textilhandelsunternehmen C & A der aus Mettingen stammenden Familie Brenninkmeyer/Brenninckmeijer gegründet. Wie gelingt es, knallharte wirtschaftliche Interessen und familiäre Gefühlswelten stets aufs Neue in Einklang zu bringen – und das über Generationen hinweg? Das ist eine der Leitfragen der Mettinger Ausstellung. Sie sucht Antworten beim Blick auf 13 Familienunternehmen aus Handwerk, Industrie und Handel in Deutschland.

Der Sektor Landwirtschaft fehlt überraschenderweise in der Ausstellung, nicht aber in den Begleitpublikationen. So erklärt ein eigens erstelltes Kinderbuch ausgerechnet am Beispieles eines Bauernhofes, was ein Familien-unternehmen überhaupt ist und was es ausmacht.

Ideal und Wirklichkeit

In der Ausstellung sind aus Westfalen drei Familienunternehmen vertreten: Falke in Schmallenberg, Harkort aus Hagen – und C & A / Brenninkmeyer aus Mettingen. Es wird also, durchaus selbstkritisch, aus dem Nähkästchen geplaudert…
Weitere Unternehmen, deren familiäre Seite in der Schau beleuchtet wird, sind unter anderem Stollwerck aus Köln (Süßwaren), Bagel in Düsseldorf (Papier), Hohner (Musikinstrumente) in Trossingen / Schwaben, Roeckl (Leder, Handschuhe) in München und das Bankhaus Warburg in Hamburg. Die Schau präsentiert aber keine begehbaren Unternehmens-Chroniken, sondern blickt auf kontroverse Grundthemen wie

  • Macht und Fürsorge,
  • Gefühl und Kalkül,
  • Erinnern und Vergessen oder
  • Innenleben und Außenleben.

In der Ausstellung zu sehen sind Gemälde, Fotografien, Büsten, Bücher und Erinnerungsstücke wie etwa der Stollwerck’sche Familienpokal. Er forderte alle Angehörigen in einer eingravierten Inschrift auf: „Dass die Familie jederzeit zusammensteh‘ in Einigkeit!“

Aus dem echten Leben

Mit wohlklingenden Leitsprüchen aber war es nicht immer weit her. Das zeigt der Blick in persönliche Briefe, Testamente und Lager-bücher, die das Ausstellungsteam in den Firmenarchiven aufgespürt hat. Die Dokumente erzählen davon, wie Söhne ungleich behandelt wurden, wie Patriarchen ihren Willen durchsetzten, wie unliebsame Verwandte kaltgestellt wurden oder wie starke Frauen vom Schlage einer Dina Falke Fehlentscheidungen korrigierten. Kurzum: Die Schau erzählt mitten aus dem prallen Leben.

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Die Ausstellung „Phänomen Familienunternehmen“ ist bis zum 29. Januar kommenden Jahres im Museum der „Draiflessen Collection“, Georgstraße 18, in Mettingen zu sehen. Ein Besuch ist nur nach Voranmeldung und im Rahmen von Führungen möglich, die montags von 14 bis 17 Uhr, donnerstags von 11 bis 21 Uhr sowie freitags und sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr stattfinden. Anmeldungen sind montags bis freitags von 10 bis 12 Uhr möglich unter Tel. (05452) 91683500.
Der Eintritt incl. Führung kostet 12 €, Familien 25 €. Der Begleitkatalog zur Ausstellung kostet 29,90 €, ein weiterer Aufsatzband 24,90 €. Das Kinderbuch „Familiensache!“ kostet 10 €.

www.draiflessen.com


Text: Gisbert Strotdrees