Wenn das Gehirn überreizt ist

Psychische Erkrankungen wie Psychosen werden meist mit Neuroleptika behandelt. Diese können Symptome lindern, doch nicht heilen. Auch haben die Wirkstoffe unerwünschte Nebenwirkungen.

Auf Außenstehende wirken Menschen mit einer Psychose oft verwirrt und realitätsfern. Das gilt besonders, wenn sie Dinge hören oder sehen, die nicht da sind oder wenn sie sich verfolgt und fremdgesteuert fühlen.

Menschen mit einer Psychose fühlen, denken und handeln anders. Sie können zwischen Wirklichkeit und ihrer eigenen Wahrnehmung nicht unterschieden. Ihr Verhalten ist daher oft nicht zu verstehen und nachvollziehbar. Je nach Ausmaß der Psychose können Erkrankte ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen.

Wahrnehmung dämmen

Behandelt werden Psychosen in der Regel mit psychotherapeutischen Verfahren und antipsychotischen Medikamenten, den Neuroleptika. Dr. Volkmar Aderhold ist Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin aus Greifswald.

Psychose ist der Sammelbegriff für eine Reihe psychischer Störungen, bei denen Erkrankte die Realität verändert wahrnehmen und verarbeiten. Betroffene können Halluzinationen oder Wahnvorstellungen haben und an schwerwiegenden Denkstörungen leiden. Häufig entwickeln sie starke Ängste. Antriebs- und Ich-Störungen können ebenfalls vorkommen. Bei den primären Psychosen kann man bis heute die Ursache im Einzelfall nicht feststellen.
Bei sekundären Psychosen ist eine Ursache zu finden, die das Gehirn beeinträchtigt. Die Erkrankung kann als Folge organischer Erkrankungen wie Epilepsie, Hirntumoren, Demenz, MS, Parkinson oder Infektionen auftreten. Aber auch Medikamente, Alkohol und Drogen können eine Psychose auslösen.

Der Mediziner kritisiert die oft allzu schnelle Verordnung von Neuroleptika und bemängelt, dass die Mittel häufig zu hoch dosiert und oft ohne wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweis miteinander kombiniert werden. Warum, darüber informierte der Experte in einem Vortrag, zu dem der Verein der Angehörigen psychisch Kranker Münster jüngst eingeladen hatte.

Viele Nebenwirkungen

Neuroleptika bzw. Antipsychotika beeinflussen den psychischen Zustand, indem sie in den Gehirnstoffwechsel eingreifen. „Heilen lässt sich mit ihnen eine Psychose aber nicht“, erklärte Dr. Volkmar Aderhold. Richtig dosiert können sie dazu beitragen, dass sich Beschwerden wie Sinnestäuschungen oder Wahnvorstellungen bessern und Patienten Innen- und Außenreize nicht mehr so stark wahrnehmen.

Allerdings trifft das nicht auf jeden Patienten zu, ließ der Mediziner wissen. Denn es gibt Menschen, bei denen Neuroleptika unwirksam sind. Außerdem ist die Behandlung mit diesen Medikamenten nicht frei von Nebenwirkungen. Die typischen Antipsychotika können starke Nebenwirkungen auf die Körpermotorik hervorrufen. Atypische Antipsychotika dagegen verändern den Stoffwechsel und können zu Übergewicht, Diabetes und kardiovaskulären Herzerkrankungen führen.

Viele Nebenwirkungen sind dosisabhängig. Welcher Wirkstoff in welcher Dosis verabreicht werden muss, ist individuell sehr unterschiedlich. Zur Behandlung reichen – je nach Neuroleptikum – 50 bis 70 % Blockade aus. Das Prinzip ‚Viel hilft viel‘ bewirkt oft das Gegenteil. Dopamin bedingte Nebenwirkungen treten jenseits von 70 % Blockade auf. Dazu zählen beispielsweise hormonelle Veränderungen. Muskeln verspannen und zittern, es tritt Unruhe in den Beinen auf. Die Patienten sind spürbar verstimmt oder geistig weniger leistungsfähig, antriebsarm und verstärkt depressiv. Darüber hinaus wirken Neuroleptika aber auch an anderen Rezeptoren. Dort können sie weitere unerwünschte Wirkungen hervorrufen wie beispielsweise Unruhe, Sehstörungen, Blutdruckabfall, Gewichtszunahme, Herzrasen, Ängstlichkeit, sexuelle Funktionsstörungen, Harnverhalt oder Bewegungsstörungen.

Fazit

„Die Frühe Einnahme von Neuroleptika führt nicht zu besseren Krankheitsverläufen“, sagte Experte Aderhold. „Eine Verzögerung des Einsatzes von Neuroleptika von mehreren Wochen unter therapeutischen Bedingungen verschlechtert die Prognose. In diesen Wochen kann man herausfinden, ob die Psychose episodisch ist und ohne Neuroleptika abklingen kann“, erklärte der Experte.

Sollte sich der Zustand nicht bessern, könne mit dem Patienten entschieden werden, ob eine Therapie mit Neuroleptika begonnen werden soll. Um die individuell minimale Dosis zu finden, favorisiert Dr. Volkmar Aderhold eine Einstiegsmenge in Höhe der geringstmöglichen Wirkdosis. LHo