Anschluss an die normale Welt

Gibt es kein familiäres Umfeld, in dem Menschen mit Behinderung leben können, bleibt häufig nur ein stationäres Wohnheim. Der Paderborner Wohnverbund des LWL vermittelt Betreutes Wohnen in Familien.

Bald feiert Helmut Staschko seinen 53. Geburtstag. Und zwar in seinem neuen Zuhause bei Maria Thiemann-Grawe und ihrem Mann Hans-Joachim in Büren-Ahden bei Paderborn.

Dort lebt der Alleinstehende im Rahmen des Betreuten Wohnens in Familien (BWF). Zum Geburtstag einladen will er ein paar normale Leute, wie er sagt. Das ist ihm wichtig. Er möchte es mit Menschen zu tun haben, die einen guten Charakter haben. Da unterscheidet er genau. Menschen, wie jenen Drogenabhängigen, der ihn vor rund 20 Jahren anfuhr und Fahrerflucht beging, zählt er ganz klar nicht dazu.

Bei dem verhängnisvollen Verkehrsunfall zog sich der gelernte Gas- und Wasserinstallateur unter anderem ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zu. An den Folgen des Unfalls ist er psychisch erkrankt. Er sei zu 80 % schwerbehindert und habe viel Zeit in Kliniken verbracht, berichtet er.

Familienpflegeverhältnis

„Seit September vergangenen Jahres wohnt Helmut bei uns“, sagt Maria Thiemann-Grawe. Die gelernte Krankenschwester hat viele Jahre in der LWL-Klinik Paderborn, einer Einrichtung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), gearbeitet. Dort werden alle Formen seelischer Erkrankungen behandelt. Die Arbeit der Familienpflege habe sie dort bereits kennengelernt, berichtet die 58-Jährige.

Sie habe einen großen Garten mit Kleinvieh und habe sich sozial engagieren wollen. Seitdem die erwachsenen Kinder auswärts wohnen, ist im Haus genug Platz. Für sie und ihren Mann kam jedoch nur eine Person infrage, die selbstständig zurechtkommt und eine geregelte Tagesstruktur hat.

Die Chemie muss stimmen

Wer einen Menschen mit Behinderung bei sich aufnehmen möchte, sollte wissen, worauf er sich einlässt. Die Familie muss manche Laune und Empfindlichkeit der Gäste akzeptieren. Umgekehrt gelte das aber auch für den Klienten. Die Chemie zwischen den Parteien muss stimmen ebenso wie das soziale Umfeld.

„Wichtig ist, dass den Menschen mit Behinderung ein Gefühl vermittelt wird, dass sie Teil der Gastfamilie sind und Normalität erleben können“, erklärt Teamleiterin des BWF Adelheid Aßmuth. Sie und die Mitarbeiterinnen des LWL-Wohnverbundes Paderborn vermitteln zwischen den Menschen mit Behinderung und ihren Gastfamilien. Sie unterstützen die Parteien bei auftretenden Fragen, Konflikten und Krisen und begleiten sie in allen Lebenslagen.

In der Regel sucht das Familienpflegeteam eine Gastfamilie für den Klienten aus. Im ersten Schritt wird ein Treffen vereinbart, um sich kennenzulernen. Erst nach ­einem 14-tägigen Probewohnen wird ein Vertrag abgeschlossen. „Der Vertrag ist aber keine Lebensentscheidung. Er kann von beiden Seiten gekündigt werden“, sagt Adelheid Aßmuth.

Urlaub: Familie auf Zeit

Jede Gastfamilie hat Anspruch auf 28 Urlaubstage im Jahr. Erwin Borkenhagen und Ulrike Bücker aus Büren-Ahden haben in den Sommerferien die Urlaubsvertretung für eine Familienpflege übernommen. Auch das ist möglich, wenn man nur befristet ein Betreutes Wohnen in der Familie anbieten möchte. Den Kontakt zwischen Erwin Borkenhagen und Florian Hecker hat das Familienpflegeteam um Adelheid Aßmuth hergestellt.

Florian Hecker wirkt zurückhaltend und ist wortkarg. Für ein Foto auf dem Pferd stellt er sich jedoch gerne zur Verfügung. Erwin Borkenhagen züchtet Norikerpferde und bietet Kutschfahrten, Kindergeburtstage und dergleichen an. Der diplomierte Kaufmann war viele Jahre als Geschäftsführer einer Behinderteneinrichtung tätig. Für den 65-Jährigen und seine Familie ist der Umgang mit psychisch kranken Menschen kein Neuland.

Eine fachliche Qualifikation ist allerdings nicht erforderlich. „Wer sich auf ein Familienpflegeverhältnis einlässt, der sollte sich schon im Vorfeld Gedanken über den Tagesablauf machen und ihn so gestalten, dass der Gast ihn mitmachen kann. Unter Zeitdruck und Hektik geht es nicht“, sagt er. Beschäftigungen, wie beispielsweise Hühner füttern, dürfen den Gast nicht überfordern.

Helmut Staschko hat sich schon gut eingelebt. Er hat ein eigenes Zimmer mit Bad. Tagsüber geht er einer geregelten Tätigkeit in der Caritas-Werkstatt in Bad Wünnenberg-Haaren nach. Am Wochenende wird gemeinsam gegessen und auch gekocht. Ein Zusammenleben klappe nur, wenn man sich gegenseitig akzeptiere und bestimmte Spielregeln, wie beispielsweise die Mittagspause, akzeptiere, erklärt Maria Thiemann-Grawe. „Es wird auch schon einmal laut. Dann müssen wir uns zusammensetzen und reden. Ist das nicht möglich, geht jeder ein bisschen auf Abstand, bis sich die Situation wieder beruhigt hat“, erklärt die Gastmutter. Das habe bislang aber immer gut geklappt.

In seiner Freizeit kümmert sich Helmut Staschko oft um das Kleinvieh bei Familie Thiemann und hilft im Garten. Mit Gastvater Hans-Joachim ist er in der Bürgerhilfe aktiv. Dort unterstützten sie ehrenamtlich ältere Menschen. Nach der Sommerpause macht er auch im örtlichen Spielmannszug mit. Er könne sich gut vorstellen, das Becken oder die Trommel zu spielen. Eine weiße Hose habe er sich schon gekauft. Und seine Motivation: „Da sind normale Leute mit einem guten Charakter“. Gerlinde Lütke Hockenbeck